Seit 2006 ist "Barrierefreiheit" in Österreich gesetzlich vorgeschrieben - auch im Internet. Doch selbst 10 Jahre nach Ablauf der Übergangsfrist sind die Websites der wenigsten Firmen und Institutionen auch nur annähernd "barrierefrei".

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Gemäß Behindertengleichstellungsgesetz müssen seit dem 1. Jänner 2006 österreichische Internet-Auftritte für behinderte Menschen "ohne Einschränkungen" zugänglich sein. Eine 10-jährige Übergangsfrist galt für Gebäude, nicht aber für Websites.

Seither müssen nicht nur Websites von Behörden und Ämtern, sondern auch jene von Untenehmen und Organisationen "in der allgemein üblichen  Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sein". Denn das österreichische Behindertengleichstellungsgesetz verbietet Diskriminierung auch für „Systeme der Informationsverarbeitung".

Was heißt eigentlich Barrierefreiheit im Internet?

Barrierefreiheit im Internet hat eine inhaltliche Ebene. So ist etwa für Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen oft eine besonders einfache, klare Sprache mit möglichst kurzen Sätzen notwendig. Websites von Organisationen, die mit geistig behinderten Menschen arbeiten, müssen dies vermehrt berücksichtigen und ihre Inhalt in sogenannte "leichter Sprache" anbieten..

Bei der technischen Barrierefreiheit geht es vor allem um Zugänglichkeit gemäß 4 Prinzipien: Websites müssen demnach für alle Menschen

  • wahrnehmbar,
  • bedienbar,
  • verständlich und
  • "robust realisiert"

sein.

Wichtigste Zielgruppe sind Menschen mit Sehbehinderung, farbenblinde Menschen und die stetig wachsenden Zahl von Senioren, die das Internet nutzen. Für sie sind Websites mit zu kleiner Schrift, schlecht erkennbaren Kontrasten oder ungünstigen Farbzusammenstellungen oft unbenutzbar.

Aber auch für motorisch behinderte Personen ergeben sich Hürden bei der Website-Bedienung, wenn Elemente zB. zu klein dimensioniert sind, um sie mit "assistierenden Technologien (von Screenreadern über Braille-Geräten bis zu Mundstäben) bedienen zu können.

Probleme für Hörgeschädigte entstehen dann, wenn zur Bedienung einer Homepage akustische Signale Bedeutung haben und keine nicht-akustischen Alternativen existieren.

Bei diesen technischen Aspekten sind also Webdesigner und Internet-Programmierer angesprochen.

Barrierefrei ist nicht kostenlos, aber auch nicht teuer!

Früher war es technisch aufwändig (und dadurch teuer), gute behindertenfreundliche Websites zu bauen. Oft wurde eine eigene barrierefreie Website-Version zusätzlich realisiert, da technische Beschränkungen keine andere Lösung zuließen. Dies wird heute jedoch als Diskriminierung angesehen und ist auch nicht mehr notwendig, da ein einfacheres System zur Verfügung steht.

  • Einfacher heißt, dass Layout, Funktionalität und Inhalt getrennt sind und sozusagen nach einem Baukastensystem und mit ähnlichen Modulen entwickelt wird.
  • Und einfacher heißt, dass die Programmierung "semantisch" und nach den offiziellen "Webstandards" des W3C, des "WorldWideWeb Consortiums", das einheitliche Richtlinien für das Internet schaffen will, erfolgt.
  • Speziell zum Thema "Zugänglichkeit" wurden von der WAI (Web Accessibility Initiatve) des W3C eigene Richlinien geschaffen, die Prinzipien, Kriterien und Techniken zur barrierefreien Umsetzung von Websites definieren: die Web Content Accessibility Guidlines (WCAG) in der Version 2.0. Hier werden die 4 Prinizipen

Die Grundlagen dafür sind seit mehreren Jahren vorhanden - kein Web-"Designer" muss heute noch seine Kreationen mit veraltetem "Tabellen-Layout" aufbauen, um dann für viel Geld (und noch mehr "Hacks") jeweils eigene Site-Versionen für Internet Explorer, Firefox, Opera und Netscapes (un)seligen Navigator - oder eben behinderte Besucher - zu entwickeln.

Daher ist Barrierefreiheit heute keine Kostenfrage mehr, sondern eher eine Frage des Know-hows.

Barrierefrei ist nicht hässlich!

Der Vorwurf, dass barrierefrei gleich hässlich ist, hat früher vielleicht zugetroffen. Doch mit der heutigen Technik macht es für die optische Qualität einer Site überhaupt keinen Unterschied mehr, ob barrierefrei gearbeitet wird oder nicht. Die Programmierung oder zentrale Änderungen an der Struktur oder dem Layout einer Website gehen deshalb auch nicht langsamer vonstatten, eher im Gegenteil.

Wie "semantische Programmierung" hilft

Für den Sehbehinderten, der sich die Inhalte einer Internet-Seite vorlesen lässt, bedeutet "semantische Programmierung" eine enorme Hilfe: Er oder sie erhält von der Sprachausgabe seines Lesegeräts nicht so sinnlose Angaben wie „Tabelle Breite 100%, Tabellenzeile, Tabellenzelle Breite 80%, Hintergrundfarbe C1F34A, Schriftart Arial, fett, 14 Punkt, blau, Aktuelle News".

Bei der behindertengerechten sematischen Programmierung fällt dieses technische „Hintergrundrauschen" weg. Nur wirklich Sinnvolles bleibt erhalten - im genannten Beispiel die Meldung „Überschrift 1. Stufe, aktuelle News". So kurz und bündig, wie es auch für Nicht-Sehbeeinträchtigte am Bildschirm steht.

Auftraggeber sollten die nötigen Kenntnisse von ihrer Webagentur einfordern, wenn diese nicht von sich aus darauf achtet. Denn dieses Wissen bietet nicht nur Behinderten Vorteile.

Google, der"große Blinde"

Einen gravierenden Vorteil bietet das hürdenfreie Web: Suchmaschinen tun sich beim Indizieren semantisch programmierter Websites leichter: Google erkennt die Inhalte barrierefrei nach Webstandards aufgebauter Seiten leichter und sicherer als andere. Entsprechend bessere Platzierungen bzw. eine größere Vielfalt von Suchbegriffen, mit denen solche Seiten gelistet werden, sind die Folge.

Zudem können Inhalte von semantisch programmierten Sites viel leichter auf andere Geräte übertragen werden - etwa auf Handydisplays. Ohne viel Zusatzaufwand und ohne exorbitante Kosten. Technische Barrierefreiheit ist also auch eine Investition in die Zukunft.

Angesichts dieser Vorteile verwundert es, dass Barrierefreiheit noch so selten ein Thema ist. Nur ein paar Prozent aller österreichischen Websites verdienen diese Bezeichnung tatsächlich. Und selbst der „große Blinde" Google kümmert sich, wenn es um die eigene Online-Präsenz geht, kaum um Standards. Zahlreiche HTML-Fehler "zieren" die Google-Suchseite.

Was macht eine gute barrierefreie Site aus?

Die Berücksichtigung der Anforderungen an barrierefreie Websites ist eigentlich für ALLE Besucher vorteilhaft, da sie Bedienbarkeit, Nutzbarkeit und Zugänglichkeit des Internets insgesamt erhöhen. Das meiste davon ist nicht einmal eine technologische oder finanzielle, sondern eine Bewußtseinsfrage.

  • Barrierefreie Sites halten sich bei der Programmierung an Webstandards (Verwendung vorhandener und strukturell richtiger Tags für Überschriften, Zwischenüberschriften, Absätze, Auflistungen, Zitate etc.) und sind in möglichst fehlerfreiem HTML realisiert.
  • Klare Trennung von Inhalt, Funktion und Layout durch semantische Programmierung und richtige Nutzung der CSS-Technologie.
  • Ausreichend große Schrift, Schriftgröße, Farben und Kontrast lassen sich einfach ändern.
  • Rücksichtnahme bei der farblichen- und inhaltlichen Gestaltung auf farbenblinde Menschen (z.B. keine rote Navigationsbeschriftung auf grünem Hintergrund, kein Hinweis wie „Drücken Sie auf den roten Button!" etc.)
  • Alle Seiten sind auch ohne Nutzung von evtl. vorhandenen Klappmenüs zugänglich.
  • Keinesfalls dürfen Flash oder ähnliche grafische Animationen für wesentliche Navigationsangebote eingesetzt werden.
  • Zu wesentlichen grafischen Elementen gibt es beschreibende Alternativtexte, die sehbehinderten Usern eine Vorstellung davon geben, was abgebildet ist.
  • Formulare für die Kontaktaufnahme müssenen so gestaltet sein, dass auch blinde Menschen sie ausfüllen können.
  • Nicht nur die technische, auch die inhaltliche Barrierefreiheit kann wichtig sein (leicht verständliche Sprache und Übersichtlichkeit).
  • Stichwort Web 2.0: Die mit AJAX und ähnlichen Techniken heute möglichen Online-Anwendungen können bei richtigem Einsatz ganz neue Möglichkeiten für Behinderte bieten, bergen aber (selbst für nichtbehinderte Internetnutzer) auch neue Hürden und Stolpersteine. Vorsicht ist angebracht - vor allem im Hinblick auf eine Kosten-Nutzen-Beurteilung.

Es kommt nicht darauf an, sofort ALLE Richtlinien und Anforderungen zu 100% umzusetzen. Es kommt darauf an, JETZT damit zu BEGINNEN und bei jedem Projekt zunehmend mehr davon zu berücksichtigen.

interact!multimedia berücksichtigt diese Anforderungen seit Jahren immer weitgehender. Auch versuchen wir, bei unseren Kunden im Rahmen der Projekte das Bewusstsein für das Thema zu fördern.

Anfang 2016 nahmen wir an einem Lehrgang für Web-Barrierefreiheit des Blinden- und Sehbehinderten-Verbands teil und streben die anschließende Zertifizierung zum "Certified Web Accessibility Expert - CWAE" an.

Sie möchten mehr wissen?

Versuchen Sie mal diese Links!

World Wide Web Consortium (W3C)

Site-Prüfung auf fehlerfreies HTML

Web Accessibility Initiative (WAI)

W3C - WAI - Zugänglichkeitsrichtlinien (WCAG)

Web Accessibility Initiative auf Wikipedia